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RSSPrint

Wer schickt noch handschriftliche Briefe oder Karten - vielleicht gar einen Frühlingsgruß?

Diese Frage tauchte bei mir auf, als ich kürzlich ein altes Poesiealbum gefunden habe. Es wurde 1934 begonnen und beim Durchblättern musste ich unwillkürlich über so manch „altkluge“ Einträge schmunzeln. Schließlich waren es meist Schüler unter 15 Jahren, die damals ihre Weisheiten, ihre guten Wünsche fürs Leben oder einfach einen Erinnerungstext nieder geschrieben haben. Auch die Gestaltung mag uns heute überholt oder gar etwas kitschig erscheinen. Die sogenannten Lackbilder (glänzende Ornamente, die durch Papierstege miteinander verbunden waren und zur Ausgestaltung von Briefen, Heften, Basteleien u.ä.  abgetrennt und aufgeklebt werden konnten) waren  seinerzeit wohl sehr beliebt. Wir würden heute Aufkleber nehmen.

 

Man mag so etwas im digitalen Zeitalter belächeln, denn heutige Formate zum Datenaustausch, z.B. WhatsApp-Nachrichten, haben eine Halbwertszeit von weniger als einem halben Tag.

Für mich waren aber gar nicht so sehr der Inhalt der Sprüche von Bedeutung, sondern die Handschriften. Ich mag schöne Handschriften sehr und stelle immer wieder fest, dass die Handschrift auch etwas ist, was für mich einen großen Stellenwert in der Erinnerung an bereits verstorbene Menschen hat. Im Laufe der Zeit mag vielleicht der Klang der Stimme desjenigen verblassen, hingegen steht mir die zugehörige Handschrift sofort klar vor Augen. Das mag auch daran liegen, dass die Generation meiner Großeltern und Eltern zu Beginn ihrer Schulzeit Sütterlin, für mich eine sehr schöne Schrift, erlernten. So exakt mit Feder und Tinte zu schreiben, muss enorm viel Sorgfalt und Ausdauer erfordert haben.

 

Vom Grafiker und Buchgestalter Ludwig Sütterlin entwickelt, war die Einführung dieser Schrift im Jahr 1911 ein enormer Fortschritt. Sie war vor allem kinderfreundlich. Mitte des 19. Jh. wurden zwar neue Schreibfedern aus Stahl entwickelt, aber die damalige Schreibschrift war ziemlich schräg ausgerichtet mit veränderlichen Strichstärken, unterschiedlichen Größenverhältnissen von Ober- und Unterlängen.

Die Buchstaben  „S“ und „E“ in Druck- und Schreibschrift sowie Groß- und Kleinschreibung  in der um 1900 üblichen Schrif.

 

Sütterlins Schrift wurde nun mit einer Kugelspitzfeder geschrieben und die Buchstabenformen waren vereinfacht. 1915 wurde diese Schrift in Preußen eingeführt. Sie begann dann in den 1920er Jahren die bis dahin übliche Form der deutschen Kurrentschrift abzulösen, wurde noch einmal verändert  und ab 1935 als „Deutsche Volksschrift“  offiziell in allen Schulen gelehrt. 1941 wurde  nach langen Auseinandersetzungen (Antiqua-Frakturstreit) die Verwendung gebrochener Druckschriften (Frakturtypen) untersagt, und ab 1942 wurde in den Schulen die lateinische Schrift in einer Variante,  „Deutsche Normalschrift“ genannt, eingeführt. So erklärt sich, dass Kinder, die zwischen 1935 und 1945 zur Schule gingen, oft zwei Schriftformen beherrschten. Nach Aussagen meiner 1925 geborenen Tante wurde „lateinisch schreiben“ als schwer empfunden – ich würde das heute vollkommen anders empfinden.

 

Bis heute gibt es in Deutschland Liebhaber der Sütterlinschrift, Initiativen und Vereine helfen beim Entziffern von Texten in Sütterlin- und anderen alten Schriften. In der Mathematik bezeichnete man noch bis in das späte 20. Jahrhundert Matrizen durch Großbuchstaben und Vektoren durch Kleinbuchstaben der deutschen Sütterlinschrift. Das ist auch ein Grund, weshalb ich in meiner Schulzeit noch mit Sütterlinschrift in Berührung kam. Aber bereits in den unteren Klassen hatten wir den Ehrgeiz, handschriftliche Texte von Eltern oder Großeltern zu entziffern. Und siehe da, so schwer war es gar nicht. Das mag auch daran liegen, dass Schönschrift früher in der Schule  zensiert wurde, also in Heften und auch Poesiealben großer Wert auf akkurate Schrift gelegt wurde; für mich sehr bewundernswert. Ich habe in meiner Schulzeit bestimmt nicht so klar und ebenmäßig geschrieben wie in diesen Abbildungen die damals etwa 14jährigen Verfasserinnen. Der Eintrag Erwachsener, eines Lehrers und des Vaters hingegen zeigte schon eher eine „ausgeschriebene“ Handschrift.

 

Auch heute noch sind die Buchstaben der Sütterlinschrift für kalligrafisch selbst gestaltete Glückwunsch- oder Grußkarten sehr dekorativ, aber keinesfalls Grundvoraussetzung für herzliche und persönliche Schreiben. Am besten, man probiert es mal – vielleicht mit einem Frühlingsgruß?? Auch ohne kunstvolle Buchstaben, eben nur handschriftlich, wird sich der Empfänger/die Empfängerin bestimmt freuen, davon bin ich überzeugt.

Ich wünsche allen, dass sie viele, möglichst handgeschriebene Frühlingsgrüße erhalten.

Sybille Gruska

 

 

 

 

 

 


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