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Jakob Hein "Der Hypnotiseur oder Nie so glücklich wie im Reich der Gedanken"

Buchempfehlung

Der brandneue Roman von Jakob Hein wurde in der Presse recht unterschiedlich kommentiert, so dass ich neugierig wurde, was denn nun dahinter steckt – DDR-Nostalgie, philosophische Betrachtungen über die Kraft der Vorstellungen und Träume oder eine amüsante Unterhaltung.

Ein Zitat von Schopenhauer ist dem Roman vorangestellt: "Im Reich der Wirklichkeit ist man nie so glücklich wie im Reich der Gedanken."

Bei dieser Einleitung könnte man denken, schwere philosophische Kost steht beim Lesen bevor. Aber schon auf den ersten Seiten werden derartige Vorbehalte abgebaut. Die Handlung versetzt uns in die Achtziger Jahre der DDR in ein kleines Dorf im Oderbruch, in dem die Zeit stehen geblieben scheint. Michael, der sein Philosophiestudium wegen nicht ganz linientreuer Auffassungen aufgeben musste, lebt hier und versteht sich auf Hypnose. Mit dieser Methode erfüllt er jungen Leuten ihre Sehnsucht nach fremden Welten, angesiedelt ausschließlich im Westen. Die Erfolge der Hypnose sprechen sich schnell herum, viele Hauptstädter kommen und der heruntergekommene Bauernhof verwandelt sich durch geschickte Vermarktung in eine Community, wo alle entspannt und zufrieden Blumen gießen und die Welt außerhalb vollkommen ausblenden, bis die Staatssicherheit diesem Paradies ein Ende setzt.

Nun könnte man abgeklärt meinen, die nicht vorhandene Reisefreiheit in der DDR wurde noch einmal verarbeitet, gar als einer der „Sargnägel“ des untergehenden Systems entlarvt. Aber das Buch geht darüber hinaus und thematisiert die Kraft der Träume und Vorstellungen. Meiner Meinung nach hätte als Untertitel auch gepasst „Die Gedanken sind frei …“ - das Lied hat oft als Ventil im eingemauerten Staat gedient, jedenfalls in gesellschaftskritischen Kreisen. Mit großem Vergnügen habe ich die Schilderungen der Dorfbewohner zur Situation gelesen. Da ich dörfliche Verhältnisse aus eigenem Erleben gut kenne, muss ich sagen, hier passt jedes Wort, jeder Ausspruch – einfach herrlich, etwa so: im Dorf geht man nicht spazieren, weil es auf dem Gehöft immer noch eine Dachrinne gibt, die gereinigt werden muss. Die Nachbarn könnten ja denken, man hätte nichts zu tun. Sowohl Protagonisten aus der Dorfbevölkerung kommen zu Wort als auch junge Frauen, die aus der Stadt kamen, um dem tristen Alltag zu entfliehen und zwar jeder mit einer sehr eigenen Ausdrucksweise. Die perfiden Methoden der Stasi werden noch einmal vor Augen geführt, indem einer jungen Frau vorgeworfen wurde, am Selbstmord einer Bewohnerin des Hofes mitschuldig zu sein. Diese Bewohnerin stellt sich am Ende als lebendige und versierte Stasimitarbeiterin heraus, welche die angestrebte Kontrolle der Wünsche und Träume der Jugend der DDR dann 1989 doch aufgeben muss.

Eine interessante Frage wird in diesem Zusammenhang aufgegriffen: „Das heißt, es darf nicht jeder glücklich sein, damit alle glücklich sein können?“. Somit ist der Bezug zu unserer Gegenwart hergestellt, wo es auch vorkommt, dass konträre Meinungen sehr radikal vertreten werden – also ein Buch über Gedankenfreiheit in komplizierten Zeiten.

Am Ende des Buches wird noch einmal deutlich, wie unwiederbringlich und wie schön die gedanklichen Reisen nach Paris oder London waren, wieviel sie für das Leben der Beteiligten bedeuteten. Ich konnte das Buch nicht zur Seite legen und habe die 200 Seiten bis spät abends an einem Tag durchgelesen. Vielleicht finden auch andere Leser und Leserinnen Gefallen daran.

Danke an Frau Eva-Maria Sucker für die Buchempfehlung und die Fotos.

Hier können Sie das Buch in der Wandlitzer Buchhandlung bestellen: ISBN-13: 9783869712543