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Wochenlieder in der Passionszeit – Teil II

Lieder zu singen ist das Eine, sie aber auch von anderen Seiten zu beleuchten, ist nicht nur eine wichtige, sondern auch lohnenswerte und oft sehr interessante Angelegenheit, für die in einem Gottesdienst oder in einer Chorprobe im Regelfall schlicht zu wenig Zeit bleibt.

 

* Wer hat Text und / oder Melodie verfasst?

* In welchem zeit- oder musikgeschichtlichen Kontext ist ein Lied entstanden?

* Welche theologischen Bezüge lassen sich aus dem Text herstellen?

* Wie und wo hat sich ein Lied verbreitet?

* Wie steht es um die aktuelle Rezeption eines Liedes?

* Altes vs. Neues?  

* Sind – insbesondere bei sehr alten Liedern – Text und Musik überhaupt noch „zeitgemäß“, d. h. für uns heute noch zugänglich oder verständlich? Welche Hilfestellungen

braucht es dazu gegebenenfalls?

* Können neue Lieder überhaupt noch einen „langen Atem“ haben oder greifen allgemeine Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit zunehmend um sich?  

* Oder sollte man die Sache doch differenziert(er) betrachten?   

u.s.w.

 

All das können Fragen sein, deren möglichst sachliche Beantwortung durchaus zum besseren Verständnis eines Liedes beiträgt.

 

In Fortsetzung unseres Beitrages vom 24.02.2021 in der digitalen Kirche geht es heute um die Wochenlieder für den 2. Sonntag der Passionszeit, der den Namen Remincere trägt. Der Name dieses Sonntags leitet sich ab von der lateinischen Antiphon: „Reminiscere miserationum tuarum, Domine, et misericordiarum tuarum quae e saeculo sunt.“ (Ps 25, 6); deutsch: Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit und an deine Güte, die von Ewigkeit her gewesen sind.

 

Die Lieder der Woche für den Sonntag Remiscere sind „Das Kreuz ist aufgerichtet“ (EG 94) und „Du schöner Lebensbaum des Paradieses“ (EG 96).

Beide gehören einer jüngeren Generation von Kirchenliedern an. Waren sie zunächst nur in einigen regionalen Gesangbuch-Anhängen oder in einzelnen Liederbüchern enthalten, fanden sie von dort bald Eingang in die allgemeine Praxis des Gemeindesingens. Ihre allgemeine Verbreitung und wachsende Beliebtheit führte schließlich dazu, dass sie zu Beginn der 1990er Jahre in den Stammteil des Evangelischen Gesangbuchs aufgenommen wurden.

 

Insbesondere das zweite Wochenlied „Du schöner Lebensbaum des Paradieses“ hat heute einen festen Platz in vielen Gottesdiensten der Passionszeit. Es vereint gleichsam alte und neue Elemente in einer glücklichen Synthese. Inhaltlich geht der Liedtext auf einen ungarischen Passionsgesang aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zurück, während der bei uns heute gebräuchliche Wortlaut als Neufassung von Vilmos Gyöngyösi in einer freien deutschen Übertragung von Dieter Trautwein (1974) eher moderne Züge trägt. Die etwas melancholische, aber sehr eingängige Melodie stammt aus dem siebenbürgischen Klausenburg und wird dort erstmals 1744 erwähnt.   

Auch in diesem Passionslied geht es natürlich um ein zentrales Thema: „… unseretwillen hat Jesus gelitten, für unsere Sünden musste er bezahlen, an unserer Statt ist er ans Kreuz gegangen, um das Fluchholz – uns zugute – in einen ’schönen Lebensbaum des Paradieses’ zu verwandeln.“ (Sylvia Bukowski). Der Lebensbaum und das Gotteslamm sind zwei ausdrucksstarke Bilder, mit denen Jesus Christus in der ersten Strophe beschrieben wird. Besonders die zweite Strophe nimmt das Leiden und Sterben Jesu in den Blick. In den folgenden drei Strophen (3 – 5) klingen, wenn auch in sehr freier Formulierung, einige der Christusworte am Kreuz an:

„Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk 23, 34)

„Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ (Lk 23, 43)

„Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“ (Lk 23, 46)

Der Textdichter greift diese Worte auf, um sie wie in einer Art (Fürbitten-)Gebet auf Situationen unseres menschlichen Alltags zu übertragen.

Mit Blick auf den eigenen Tod hofft der Textdichter, mit einem „Lob(lied) auf den Lippen“ dereinst von dieser Welt zu scheiden. Am Ende der letzten Strophe wird dieses Bild schließlich noch mit einem zuversichtlichen Ausblick auf „Frieden ohne Ende“ und„ewige Freude“ ausformuliert.

 

Zum Hören und / oder Mitsingen empfehle ich Ihnen eine kleine Liedmotette für Chor aus der Feder des ungarischen Komponisten Zsoltán Gárdonyi (1906 – 1986), in der die Melodie durch verschiedene Stimmlagen wandert, aber stets gut herauszuhören ist. 

 

https://www.lieder-vom-glauben.de/evangelisches-gesangbuch-eg-wue-nr-96/

 

Bleiben Sie gesund und behütet,

Ihr Stefan Händel

Kirchenmusik Basdorf / Ökumenischer Kirchenchor Basdorf (ÖKB)

Liedtext

Der Kaktus-Baum auf dem Titelbild ist mehrere 100 Jahre alt und auf Kuba fotografiert. Die Karibikstrände kommen einer bildlichen Vorstellung des Paradieses sehr nahe. (Lucas Ludewig)

Alle Passionsliedbeiträge können auf der Seite des ÖKB nachgelesen werden.