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RSSPrint

WÜNSCH DIR WAS für (m)einen Gottesdienst

passend zum Beitrag vom Vortag

 

Vor einigen Wochen wachte ich nachts auf und blieb 2 Stunden voller unruhiger Gedanken wach liegen. Wir standen an der portugiesischen Algarve auf einem wunderschönen Campingplatz und um meine Schlaflosigkeit zu überbrücken, klickte ich auf die „digitale Kirche“ meines Pfarr Sprengels und lass die Aufforderung von Pfarrer Ludewig, Wünsche zur Veränderung des Gottesdienstes mitzuteilen. (https://www.kirche-wandlitz.info/news-detail/nachricht/ist-die-predigt-noch-aktell.html)

Beim Nachdenken merkte ich: Was ich für einen Gottesdienst mir wünsche … hängt mit meinem Gottesbild zusammen.

Mein Gott ist kein Strafender Gott, kein Gott, der Angst vor Hölle und Strafe verbreitet, Gott ist Mann, ist Frau, ist schwarz, rot, braun oder weiß, ist schwul oder trans, ist eher arm als reich. Er (oder sie) ist Liebe und Kraft in all seinen Ausformungen: in dem überwältigenden Anblick der Schweizer Alpen auf dem Berg-Gipfel, im Freudenfest mit geretteten Geflüchteten, in der sexuellen Hingabe und Begegnung mit meiner Frau, in der Spende für den Bettler vor dem Supermarkt, in der eindringlichen Kraft der Bach‘schen Fuge, ich höre ihn im vielstimmigen Gospelchor, der die Schmerzen der Sklaverei und den Dank über die Befreiung in die Welt posaunt, ich sehe ihn  im Gesicht meines Enkelkinds und spüre ihn im erfürchtigen Dank gegenüber meinen verstorbenen Eltern.

Der Berliner Liedermacher Klaus Hoffmann titelte 1977 eine LP mit seinen Balladen mit den Worten „Ich will Gesang, will Spiel und Tanz“:

Das wäre so eine Überschrift über meine Wunschvorstellung von Gottesdiensten, aber ich fange mit einem ganz anderen Erlebnis an:

Einer der schönsten Gottesdienst , an die ich mich erinnern kann, fand nicht in der Kirche sondern im Internet bei Zoom statt. Auf dem Höhepunkt der Corona-Quarantäne im Herbst 2021, hatte unser Pfarrer zusammen mit anderen aus dem Kirchenkreis Barnim zu einem Gottesdienst eingeladen, den ich „Kachelgottesdienst“ nenne, weil mein Bildschirm je nach Format, auf 25 bis 49 Kacheln die einzelnen Gottesdienstteilnehmer*innen in ihrer häuslichen Umgebung abbildete. Die Menschen, die den Gottesdienst gestaltet haben, die beteten oder Bibeltexte vorlasen, waren im selben Format zu sehen, wie jene, die stumm blieben oder aber in den Kleingruppen, die während der Veranstaltung zufällig zusammengewürfelt wurden, miteinander ins Gespräch kommen konnten. So viele fremde Gesichter und so viel Nähe hat mich sehr beeindruckt.

Ich habe mir auch die Links angeschaut, die Pfarrer Ludewig zum Kettensägen-Gottesdienst in der Schweiz gepostet hatte. (https://youtu.be/H8QXzSUKphY) Und erfuhr dabei, dass in diesem Gottesdienst nicht nur Altes zerstört wurde.

(Nebenbemerkung zu den Kanzeln unseres Pfarr- Sprengels: in Zühlsdorf z.B.  kann und braucht man keine Kanzel zerstören, weil es sie gar nicht gibt, die Kanzel in der Wandlitzer Kirche wurde meines Wissens das letzte Mal vom Pfarrer Stefan Flade (Vakanz-Pfarrer nach dem Weggang von Pfarrerin Berchner) benutzt, der dabei gleich zu Beginn selbstironisch anmerkte, dass er sich vorkomme wie in einem Kasperltheater.)

 Die symbolische Zerstörung der Kanzel bei dem Kettensägen-Experiment hatte nicht nur Altes zerlegt, sondern auch etwas Neues geschaffen: aus der Kanzel wurde ein Tisch der Sehnsucht! Das hat mich beeindruckt, viele von uns haben glaube ich eine Sehnsucht, nicht „abgekanzelt zu werden“ sondern alle auf gleicher Augenhöhe wahrgenommen und ins Gespräch einbezogen zu werden. (Wie alle anderen Bemerkungen ist dies selbstverständlich nicht als Kritik bisheriger Pfarrpersonen unserer Gemeinde gedacht!)

Ich wünsche mir, dass Formen und Inhalte der Gottesdienste (möglichst) so vielfältig sind, wie die Angebote zum Beispiel,  wenn ich den Streamingsdienst Netflix aufrufe. Ich bin oft erschlagen von der Fülle dort und es kostet manche Mühe die Filme, die Geschichten, die Themen herauszufinden die mein Herz berühren und öffnen können. Aber es lohnt sich. Und die Auswahl ist so bunt wie das wirkliche Leben!

Für unsere Gottesdienste könnte das – so wünsche ich es mir – heißen, mit den deutlich geringeren Mitteln als denen eines amerikanischen Medienkonzerns dennoch vielmehr zu experimentieren, Ungewohntes, Freches, Fröhliches, Provokantes auszuprobieren.

Beim evangelischen Kirchentag in Köln 2007 beispielsweise wurde eingeladen unter dem Motto „im Weinberg der Liebe“ zu einem erotischen Gottesdienst, in dessen Mittelpunkt das Hohelied Salomons stand, eine Sammlung von zärtlichen, teilweise explizit erotischen Liebesliedern, in denen das Suchen und Finden, das Sehnen und gegenseitige Lobpreisen zweier Liebender geschildert wird.

Die 400 Plätze der Karthäuser Kirche waren schnell voll besetzt (!!), weitere 600 am Gottesdienst Interessierte konnten nur vor der Kirche die Videoübertragung verfolgen. Und wer nun Angst vor vulgären oder gar pornographischen Aktivitäten haben mag, dem sei versichert Ausdruck der kollektiven Zärtlichkeit war die Aufforderung im Gottesdienst den Nebenmann oder die neben Frau an der Stirn und an der Hand zu massieren („eine Salbung zu schenken“).Hier ein Bericht über einen weiteren „erotischen Gottesdienst“ in Wiesbaden: https://bit.ly/ErotischerGottesdienst )

Gottesdienst heißt für mich aber auch: Stille. Manchmal ergibt sich die Chance beim Besuch einer Kathedrale, wenn gerade keine Bauarbeiten oder Verkehrslärm mich ablenken. Bei Yogaübungen an den Chorwochenenden der Kantorei und in anderen Zusammenhängen habe ich die Kraft der Meditation kennengelernt. Und ich wünsche mir diese göttlichen Erlebnisse auch im Rahmen meiner Gemeinde in einer Form des Gottesdienstes. Mantra – Singen und gemeinsames Atmen ist für zehn tausende von Menschen längst eine Form der spirituellen Praxis geworden. Warum bleibt sie bei unseren Gottesdiensten außen vor?

Seit nunmehr fast zehn Jahren singe ich in der Kantorei und habe immer wieder sowohl bei geistlichen Gesängen aber auch bei Musik aus anderen Kulturkreisen und Religionen das Erlebnis von Gottes Nähe. Wenn die Kantorei im Gottesdienst auftritt, kommt es mir aber oft eher wie eine Dekoration und nicht so vor, dass die Musik und unsere Stimmen als Gottesgeschenk im Mittelpunkt stehen, so wie ich es mir wünsche.

Zum Thema Gottesdienst gehört auch, dass wir normalerweise den Begriff nur im Format „Sonntag um 10:00 oder 14:00 Uhr im Gotteshaus“ denken. Weil ich mit meiner Frau und dem Wohnmobil viel unterwegs bin, erlebe ich Gottesdienste vielleicht sogar häufiger als in dieser traditionellen Form als „Fernseh-Gottesdienst“ oder „YouTube-Gottesdienst“. Und noch mehr werde ich berührt von solchen spirituellen Wortbeiträgen, Videos und Bildern wie sie zum Beispiel  (mit 35.000 Follower*innen vielleicht eine der bekanntesten deutschen „Internet-Geistlichen“ und jüngst auch in die Leitung der EKD gewählten) Pfarrerin Josephine Teske https://www.instagram.com/seligkeitsdinge_ .

Gerade das letzte Beispiel einer Pfarrerin und allein erziehenden Mutter zweier Töchter, die in großer Offenheit nicht nur von ihren freudigen Erlebnissen und Erfolgen sondern auch von ihren Zweifeln und Verzweiflungen berichtet, zeigt mir wie wichtig es für mich ist, dass in diesen unterschiedlichsten Formen des Gottesdienstes Trost und Hoffnung nicht nur bei dem Thema Tod vorkommt, sondern im Gottesdienst mehr Platz für individuelle Erzählungen auch der vielen Tode während des langen Lebens. Nach Liebeskummer, Trennung, schwerer Krankheit, als alleinerziehende Mutter, als gestresster Leistungsträger, als gemobbter „Sonderling“.

Schlussbemerkung: mein liebstes Märchen, dass ich meinen Kindern vor dem Einschlafen immer und immer wieder vorgelesen habe ist das vom „Froschkönig“. Es beginnt mit den Worten: In den alten Zeiten, da, wo das Wünschen noch geholfen hat,“. Ich habe meinen Kindern immer wieder versichert, dass diese Zeiten noch immer existieren.

Auch das war eine Ermutigung diesen Text zu formulieren.